Konzentration, mein verlorenes Paradies

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Ich denke in letzter Zeit viel über Konzentration nach. Wenn ich das tue, weiß ich, dass ich gerade nicht konzentriert bin, weshalb ich ja darüber nachdenke, anstatt etwa zu arbeiten. Immer geistert dabei eine Phrase durch meinen Kopf, die immer falsch ist: Früher war alles besser. In diesem Fall meint sie: Früher war ich konzentrierter, fokussierter und daher schneller, genauer, besser. Was war früher anders? Genau, kein Smartphone, keine Whatsappgruppen, keine automatisierten ‚Ich google das mal‘-Abschweifungen.

Ich will nicht gerne ein Opfer sein und so entschied ich, mir mein digitales Crack (Smartphone, Whatsappgruppen, Google-Abschweifungen) probeweise zu versagen. Ich hängte dazu über meinem Schreibtisch einen Zettel mit der Aufschrift „No Phone, No Internet“ auf. Auf den Zettel notierte ich die Uhrzeit in exakt einer Stunde, denn für den Anfang schien es mir ratsam, erstmal eine Stunde lang abstinent zu bleiben. Für die Arbeit notwendige Internetrecherchen (im Bibliothekskatalog oder auf der Duden-Seite) waren weiterhin erlaubt. War ich eine Stunde enthaltsam geblieben, durfte ich die notierte Uhrzeit durchstreichen, aufs Handy schauen oder surfen. Dann schrieb ich erneut eine Uhrzeit auf den Zettel.

20151210_174334Der Witz an der Sache war: Ich war kein bisschen weniger abgelenkt, unkonzentriert, fahrig. Nur anstatt meine Unkonzentriertheit mit einer Tätigkeit, wie beispielsweise sieben Pudelemoticons an meine Schwester zu schicken, zu verbinden, starrte ich aus dem Fenster oder untersuchte die Nagelbetten meiner Finger auf etwaige Anomalitäten. Auch die Deckenbeleuchtung meines Büros kenne ich unterdessen sehr genau.

Entweder ist mir also die fragmentierte Internet- bzw. Smartphone-induzierte Arbeitsweise schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich auch bei Abwesenheit des sie auslösenden Reizes an ihr festhalte. Oder aber ich bin einfach so: ein Hans guck in die Luft. Während ich im ersten Fall die Sache wohl einfach aussitzen könnte und irgendwann meine Konzentrationsfähigkeit zurück erlangen würde, läge sie zweiten Fall schon komplizierter. Je länger ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher erscheint mir die zweite Variante: Ich bin einfach nicht der Typ, der ganz in seiner Arbeit versinkt, darüber gar zu essen oder zu schlafen vergessen würde. War es nie. Die Überzeugung, früher einmal konzentrierter gewesen zu sein, ist demnach nichts weiter als die übliche retrospektive Selbstglorifizierung, die Erinnerung, das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.